Produkttests im eigenen Labor
In meinem Medientechnik- und Collaboration-Labor teste ich regelmäßig unterschiedliche Audio/Video-Produkte. Manchmal aus purer Neugierde, häufiger als Berater für Hersteller und am häufigsten im Rahmen von Kundenprojekten. Auch wenn der konkrete Anlass für den heutigen Blogpost ungenannt bleiben muss, so will ich doch einige Ergebnisse zum Thema STEM ECOSYSTEM Produkte mit Ihnen teilen. Wie immer absolut objektiv und so hoffe ich doch, technisch fundiert.
Wer war STEM Audio?
Es ist gut möglich, dass Sie diesen Markennamen noch nie gehört haben. Und Stem Audio war zumindest in Europa auch nur wenigen Branchenkennern bekannt. Der Gründer Jacob Marash war viele Jahre als Frontmann im Unternehmen seiner Famile Phoenix Audio Technology tätig, einem Anbieter von Audiokonferenz-Produkten. Diese waren nicht unbedingt für Ihre Innovation bekannt und somit war es ein durchaus kluger Schachzug, für eine grundlegend neue Produktfamilie kurzerhand ein eigenes Startup namens STEM AUDIO innerhalb des bestehenden Unternehmens zu gründen.
Nach nur 18 Monaten (!) übernahm nun im November 2020 Branchen-Schwergewicht SHURE Inc. das Unternehmen (inkl. Phoenix Audio). Dort firmiert es nun unter dem Namen SHURE STEM Ecosystem. Dass die Phoenix Audio Produkte mittlerweile alle eingestellt wurden, war nicht wirklich überraschend.
Was bietet das STEM Ecosystem?
Unter dem Markennamen STEM finden sich Produkte für den UC-Markt. Man konzentriert sich auf das Marktsegment oberhalb der klassischen All-In-One Soundbars und Speakerphones, aber unterhalb von komplexen Systemen, welche umfangreiches Know-How beim Design und bei der Inbetriebnahme erfordern. Wobei das so nicht ganz richtig ist, weil man durchaus auch „große“ Räume damit abdecken will, aber eben OHNE die sonst dort übliche Komplexität.
Dafür bietet das STEM Ecosystem eine Reihe von cleveren Software-Tools, aber auch die Hardware darf man als smart bezeichnen. Alle Produkte werden einfach über das LAN miteinander verbunden und per PoE versorgt. Beim sog. STEM HUB dockt man dann per DANTE oder per USB an seinen UC-Computer an. Per Knopfdruck misst sich das System selbständig ein. Fertig! So einfach soll es gehen; das ist das Produktversprechen.
STEM ECOSYSTEM Produkte
Das Portfolio ist übersichtlich und schnell aufgezählt:
STEM WALL
Eine klassische UC-Soundbar mit ordentlichen Lautsprechern und 15-fach Mic-Array in einem durchaus zierlichen Gehäuse. Wird es alleine betrieben, so schließt man den PC einfach per USB an. Die Soundbar meldet sich dann als Speakerphone an und kann sofort verwendet werden. Ein eingebauter DSP übernimmt Echo-Cancelling und andere Audio-Processing Funktionen. Dazu später mehr.
Die Stromversorgung erfolgt über PoE+, per LAN-Interface geht es ins Netz. Einfach und schlau.
STEM TABLE
Im Grunde genommen das gleiche Produkt, aber in einem recht wuchtigen Tischgehäuse mit identischem Featureset. Mute und Volume-Tasten auf der Oberseite ergänzen das Gerät.
Das STEM TABLE ist vergleichsweise groß, dafür sind aber „echte“ Lautsprecher verbaut. Was für ein Unterschied im Vergleich zu den Mini-Speakern manch anderer UC-Anbieter, die eher an halbe Kopfhörer erinnern. 😉
STEM CEILING
Ähnlich den anderen Produkten, aber OHNE Lautsprecher. Mit ca. 55cm Durchmesser passt es knapp aber doch noch in ein 600*600mm Deckenpaneel, kann jedoch mit dem inkludierten Zubehör auch von der Decke abgehängt werden.
STEM SPEAKER
Einer der hidden champions im Portfolio. Ein formschöner Deckeneinbaulautsprecher mit PoE+ Speisung, der durch seinen LED-Ring auch gleich den Mute-Status des Raums anzeigen kann. Eine tolle Idee!
STEM HUB
Wie clever der STEM HUB wirklich ist, erschließt sich erst auf den zweiten Blick, vereint er doch eine Fülle an Funktionen:
Der HUB verknüpft alle Geräte eines Raumes und stellt ein zentrales USB-Interface für bis zu 10 STEM Geräte zur Verfügung. Egal also, ob nur 2 oder 8 STEM Devices im Raum sind, für den Host-PC ändert sich dadurch absolut nichts. Der HUB hat einen smarten Mikrofon-Mixer eingebaut und übernimmt die Koordination zwischen den einzelnen Komponenten.
Soll ein STEM System mit einer externen Lautsprecher-Anlage gekoppelt werden, so gibt es einen LINE-Out. Ideal z.B. in Kombination mit den STEM CEILING Deckenmikrofonen.
Der STEM HUB kann sogar DANTE! Als Alternative zum UC-freundlichen USB-Interface spricht also nichts gegen die Anbindung an professionelle Audio-Systeme via DANTE.
STEM CONTROL
Im STEM ECOSYSTEM findet sich auch ein Touchpanel. Darauf soll hier aber nicht näher eingegangen werden, dann fast alle seine Funktionen lassen sich auch von einem Browser aus bedienen. Anders gesagt: Es gibt wahrscheinlich nur sehr wenige Anwendungen, wo man ein STEM CONTROL braucht oder haben will.
STEM Ecosystem
Was unterscheidet das STEM Ecosystem nun von anderen Audio-Systemen für UC-Anwendungen? Wie so oft lautet die Antwort „DIE SOFTWARE“. Und die ist in der Tat höchst interessant.
Am besten sehen wir uns an, wie ein STEM System geplant und installiert wird.
Schritt 1 – Der Stem RoomDesign
Zu Beginn empfiehlt sich das Stem RoomDesign Tool. Damit „plant“ man bequem das System direkt im Webbrowser. Der Benutzer definiert seinen Raum durch Platzierung von Wänden, Tischen und Stühlen. Dann werden die gewünschten STEM Produkte eingefügt und konfiguriert. Das Tool zeigt schließlich die geschätzte Abdeckung an. Link zum Thema.
Meine Meinung dazu:
So nett der Designer auf den ersten Blick auch wirkt, so ganz glücklich bin ich damit nicht. Speziell beim Einsatz von Decken-Mikrofonen ist die Raumhöhe der wahrscheinlich allerwichtigste Parameter für ein erfolgreiches System-Design. Die Deckenhöhe ist jedoch offensichtlich nicht verstellbar, sondern wird fix mit 2,8 Metern angenommen. Das ist nicht sonderlich praxisgerecht, wird aber in den meisten Fällen ausreichend treffsicher sein.
Schritt 2 – Room Adapt
Nach der Installation der STEM ECOSYSTEM Produkte startet die Inbetriebnahme. Mit der RoomAdapt genannten Funktion startet der User per Knopfdruck die automatische Einmessung. Jeder Lautsprecher im System schickt dazu Testtöne in den Raum und alle Mikrofone nehmen diese auf. STEM verspricht nun, dass sich damit alle Geräte automatisch auf den Raum einmessen.
Obwohl leider nirgends beschrieben, kommen Profis diese Signale durchaus bekannt vor. Wer schon einmal Impulse Response bzw. FFT Messungen machte, kennt diese Swept Sine Chirps. Das hört sich vernünftig an.
Meine Meinung dazu:
Trotz intensiver Suche findet sich nirgends ein Hinweis, was die einzelnen Komponenten mit dem Messergebnis dann konkret machen? Wird nur die Empfindlichkeit der Mikrofone angepasst und die Wiedergabepegel der Lautsprecher? Findet Beam-Forming bei den Mikrofonen statt? Echtes De-Reverberation?
Der Benutzer erhält keinerlei Feedback, wie „happy“ das System mit seinem Setup ist. Ab wann wäre ein System nicht mehr OK?
RoomAdapt bleibt ein wenig rätselhaft, auch der Hersteller bleibt vage:
Schritt 3 – RoomCheck
Die RoomCheck Funktion wird nach der Inbetriebnahme verwendet, um das Ergebnis zu verifizieren. Wichtig ist dabei, dass der Grundriss aus der Systemplanung aus Schritt 1 verfügbar ist. Die Funktionsweise ist schnell erklärt: Der Prüfer spricht aus unterschiedlichen Positionen und das System überprüft die in der Realität erzielbare Sprach-Qualität. Wie zu erwarten, entspricht die Farbe Grün einem „Alles ok“ und abweichende Farben deuten auf Probleme hin. Je nach Problem hilft eine geänderte Positionierung der vorhandenen Geräte oder es müssen zusätzliche Komponenten montiert werden.
Auch hier ist leider nicht klar, welche Parameter das System zur Qualitäts-Einschätzung heranzieht. ABER: In allen Fällen stimmte ich mit der STEM Meinung überein. Wenn STEM mit dem Ergebnis nicht zufrieden war, dann war es auch wirklich nicht gut. Fazit: Sehr brauchbares Feedback.
Schritt 4 – Remote Management
Sie erinnern sich, ALLE STEM Geräte sind über ein IP-Netzwerk verbunden. Neben der einfachen Verkabelung ermöglicht dies eine Fülle von Zusatzfunktionen. Neben dem Auto-Update der Firmware, die sich die Geräte auf Wunsch auch selbständig aus dem Internet holen, bietet das STEM Ecosystem Einiges an Remote Management. Auf einem Netzwerk können praktisch unbeschränkt viele RÄUME sein, welche ihrerseits jeweils bis zu 10 STEM Geräte beinhalten können. Mit einem Webbrowser können nicht nur Online-Status, MAC- und IP-Adresse abgefragt werden, sondern auch die jeweilige Detail-Konfiguration jedes Geräts aufgerufen werden.
Zwei Besonderheiten möchte ich erwähnen:
- Zum Aufrufen des Webinterfaces ruft man einfach die IP-Adresse einer beliebigen Komponente im System auf. Sprich: Sobald man mit einer Komponente verbunden ist, ist man mit dem gesamten System verbunden. Sehr praktisch!
- Die Geräte führen auf Wunsch täglich oder wöchentlich einen Selbst-Test durch. Leider fehlt jedoch die Möglichkeit, dass das System bei einem gefundenen Fehler diesen auch meldet. Offensichtlich ist weder der Versand eines Emails noch die Anbindung an ein externes Service-Management vorgesehen.
Aber nun zum Wichtigsten:
Wie klingt es? Funktioniert es?
Hier muss man zwischen der Wiedergabe und der Aufnahme unterscheiden. Die Lautsprecher sind allesamt verblüffend gut! Kein Vergleich zu anderen UC-Herstellern, die teilweise dünn klingende Mini-Speaker verbauen und denen man mit Recht nicht zutraut, einen mittelgroßen Meetingraum mit mehreren Personen zu füllen. Speziell die Soundbar funktioniert einfach gut. Es ist erstaunlich, dass dieser Aktiv-Lautsprecher samt 15-fach Mikrofon-Array und DSP mit PoE+ Speisung auskommt. Solche Produkte braucht der Markt!
Die Mikrofone der STEM ECOSYSTEM Produkte funktionieren zufriedenstellend ohne besondere Auffälligkeiten. Doch ein wenig überraschend war die Erkenntnis, dass gerade der DSP-Teil, also das Audio-Processing nicht wirklich zu den Stärken des STEM Ecosystems gehört. Hier kann Shure meiner Meinung noch nachbessern und wird dies laut Aussage auch noch machen. Wir praktisch, dass es sich hier „nur“ um Software handelt. Diese kann man ändern.
Das Handling
Alle Komponenten per IP zu vernetzen und mit PoE+ zu speisen, macht Sinn und erleichtert das Setup enorm. Das System ist damit einfach skalierbar. Ein einzelnes STEM Speakerphone (WALL oder TABLE) per USB an den PC angeschlossen reicht für viele BYOD Setups im Huddleroom.
Am anderen Ende der Skalierbarkeit versorgt ein STEM HUB bis zu 10 Mikrofone bzw. Lautsprecher. Damit lassen sich selbst große Räume mit STEM ausrüsten.
Zertifizierungen
Auf diesem Blog wurde das Thema Zertifizierungen rund um MS Teams und Zoom schon mehrmals angesprochen, z.B. hier. Zum aktuellen Zeitpunkt verfügen die STEM ECOSYSTEM Produkte leider über KEINE derartige Zertifizierung! Das ist sehr schade. Natürlich kann man STEM Ecosystem Produkte trotzdem für Teams & Zoom verwenden, aber gut möglich, dass die Ergebnisse nicht perfekt sind ODER manche Funktionen nicht verfügbar sein werden. Teams & Zoom greifen einfach sehr intensiv in das Audio Processing ein, unbekannte Audio Devices sind hier nicht hilfreich.
Aber vergessen wir nicht, dass es noch viele andere Anwendungen außerhalb dieser beiden UC-Plattformen gibt. Für diese eignen sich die STEM Produkte mit Sicherheit sehr gut.
Fazit
Die Produkte des STEM ECOSYSTEMs von Shure hinterlassen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Einerseits muss man die absolut tadellose Verarbeitung und die Auswahl an Optionen loben. Die Idee, ein System zu schaffen, welches möglichst viel automatisch selbst macht, ist grundsätzlich ebenfalls zu begrüßen. In den einzelnen Komponenten ist erstaunlich viel Rechenleistung enthalten. Es ist also durchaus glaubhaft, dass hier sauberes Audio Processing stattfindet. Wie schon angesprochen wird dieser Eindruck jedoch davon ein wenig getrübt, dass das System leider keinerlei Feedback liefert, was es eigentlich macht und warum. Es bleibt dem Kunden somit nichts anderes übrig, als dem System blind zu vertrauen.
Ausblick
Shure hat diesen Zukauf mit Sicherheit nicht gemacht, um sein umfangreiches Portfolio nur nach unten abzurunden. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass STEM nicht einmal zwei Jahre als Technologie-Startup existiert hat! Das junge Unternehmen konnte also mit Sicherheit noch nicht alle seine Ideen verwirklichen.
Auch in Sachen Security gibt es noch Einiges an Potential. Shure hat mit dem Firmware-Paketen 2.0 und 2.2 schon einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht, perfekt ist es aber noch lange nicht. Ein unverschlüsseltes Webinterface ist im Jahr 2022 einfach nicht mehr ok. Shure weist treuherzig in einem Support-Dokument darauf hin, dass das STEM Ecosystem für Kunden ist, bei denen „Security not a deciding factor“ ist! Sorry Shure, da bin ich absolut anderer Meinung. Trotzdem oder gerade deshalb: Die regelmäßigen Updates inkludieren praktisch alle jeweils auch Security-Fixes. Danke Shure!
Die Zukunft wird zeigen, wieviel der cleveren Ideen von STEM in andere Produkte von Shure einfließen werden. Oder auch, wie die erfahrenen Shure-Leute die bestehenden STEM Ecosystem Produkte weiter optimieren. Vor allem aber, welche künftigen Produkte die Vorteile beider Firmen vereinen.
So oder so, es bleibt spannend, denn die Ideen des Kurzzeit-Startup STEM AUDIO sind höchst interessant und erfrischend anders.
Nur einer wird daran nicht mehr teilhaben. Gründer und Mastermind Jacob Marash ist vor wenigen Tagen bei Shure ausgeschieden. Seit April 2022 arbeitet er an seinem neuesten Startup. Stealth Mode nennen die Amerikaner das, wenn noch niemand Details wissen darf. Wir bleiben gespannt.